Wasserstoffbetriebene Binnenschiffe

Neue Studie befasst sich mit dem Europäischen Standard der technischen Vorschriften für Binnenschiffe (ES-TRIN) und entwirft Vorschlag für eine Vorschriftenerweiterung für den Betrieb von Fahrzeugen mit Brennstoffen
16.02.2022
Bärbel Kunze

Bärbel Kunze

Referentin Vorschriften und Standards

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Ausgangslage

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Treibhausgas- und Schadstoffemissionen weltweit reduziert werden. Dies gilt auch für die Binnenschifffahrt.

Das Deutsche Maritime Zentrum hat im Juni 2021 einen Auftrag an Lloyd’s Register erteilt, eine Studie zur „Erarbeitung eines Vorschlags für technische Vorschriften zum Einsatz von Wasserstoff als Brennstoff in der Binnenschifffahrt“ zu erstellen.

Binnenschiffe können in Europa bislang nur in Ausnahmefällen mit Wasserstoff (H2) betrieben werden. Um Innovationen und die Nutzung neuer Technologien zu fördern, werden für Pilotprojekte Sondergenehmigungen bei Abweichungen von den geltenden technischen Vorschriften erteilt. Laufende Aktualisierungen des Regelwerkes stellen sicher, dass der wissenschaftliche und technische Fortschritt Eingang in die Vorschriften findet, so dass Sicherheit und Effizienz in der Binnenschifffahrt weiterhin gewährleistet werden. Eine klare Regelung des Gesetzgebers zur Nutzung von alternativen Kraftstoffen kann die Industrie motivieren, die notwendigen Innovationen zur Umstellung umzusetzen. Das setzt voraus, dass die Nutzung von Wasserstoff grundsätzlich möglich ist und entsprechende Sicherheitsvorschriften in Kraft gesetzt sind.

Auf allen Binnenwasserstraßen der Europäischen Union werden die Sicherheit der Binnenschiffe und der Schutz von Umwelt und Mensch durch den Europäischen Standard der technischen Vorschriften für Binnenschiffe (ES-TRIN) gewährleistet. Die Grundlage für dieses harmonisierte Regelwerk sind die EU-Richtlinie 2016/1629 zur Festlegung technischer Vorschriften für Binnenschiffe und die Rheinschiffsuntersuchungsordnung.

Zielsetzung

In der o.g. Studie soll zum einen ein Vorschriftenentwurf für den Einsatz von Wasserstoff zum Betrieb von Binnenschiffen erarbeitet werden. Zum anderen wird analysiert, ob die Sicherheitskonzepte auf die Vorschriften für Seeschiffe übertragen werden können, die von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) entwickelt werden.

Entwicklung von technischen Vorschriften für Binnenschiffe

Für die Ausarbeitung technischer Vorschriften auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt auf europäischer Ebene ist der Europäische Ausschuss für die Ausarbeitung von Standards im Bereich der Binnenschifffahrt (CESNI) zuständig. Im Ausschuss CESNI PT FC (eine nichtständige europäische Arbeitsgruppe) arbeiten Mitarbeiter*innen des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) gemeinsam mit Vertreter*innen anderer EU-Mitgliedsstaaten, Industrievertretern und Sachverständigen an den Vorschriften für den Einsatz von Brennstoffzellen und Brennstoffen mit einem niedrigen Flammpunkt. Die deutsche Industrie hat sich an den bisherigen Arbeiten in diesem Ausschuss intensiv beteiligt.

Die Bestimmungen für Binnenschiffe, die Brennstoffe mit einem Flammpunkt von 55 °C oder darunter (z.B. Wasserstoff, LNG und Methanol) verwenden, werden im ES-TRIN (Anlage 8) veröffentlicht. Für den neuen Abschnitt II der Anlage 8 (Brennstofflagerung, Teil 2 – Wasserstoff) sollen die schiffsseitigen technischen Anforderungen für das Bunkern und Lagern von tiefkaltem und von unter Druck stehendem Wasserstoff entwickelt werden.

Vorgehensweise

Im ES-TRIN (Anlage 8) sind bereits Anforderungen für LNG festgelegt. Diese wurden für die Gliederung und die Inhalte des neuen Abschnitts über Wasserstoff als Brennstoff geprüft und adaptiert. Die derzeit relevanten Standards und Regularien für den H2-Transport mit Tankcontainern oder ortsbeweglichen (»swappable«) Druckgeräten sind für den Straßentransport das Europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter (ADR) und für den Transport auf Binnengewässern das Europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf Binnenwasserstraßen (ADN). Wasserstoff wird gegenwärtig nicht im Verzeichnis der zur Beförderung in Tankschiffen zugelassenen gefährlichen Güter geführt. Eine Eignung der regulatorischen Anforderungen für Wasserstoff kann daher nicht vorausgesetzt werden.

In einer Gap-Analyse wurde der mögliche Übertrag von technischen Grundlagen auf die Binnenschifffahrt beurteilt, außerdem wurden weitere internationale Richtlinien für den Transport und Nutzung von Wasserstoff berücksichtigt. Je nach Anwendungsbereich sind die bestehenden Regularien unterschiedlich gut geeignet, die technischen Grundlagen des ES-TRIN für Wasserstoff als Brennstoff zu ergänzen.

Mit den Empfehlungen an die Schiffsuntersuchungskommission und den Abweichungen gemäß Richtlinie EU 2016/1629 können die bereits gewonnenen Erfahrungen im Rahmen von Pilotanwendungen sichergestellt werden. Sie sind in die oben beschriebene Analyse eingeflossen.

Wasserstoff – Eigenschaften, Risiken

Wasserstoff (H2) ist ein farb- und geruchloses Gas. Es ist von Natur aus nicht giftig, durch Gefrierbrand können jedoch unmittelbare Gesundheitsgefährdungen entstehen. Wird Wasserstoff in die Atmosphäre freigesetzt, gibt es im Vergleich zu Diesel geringe Umweltbelastungen. Das Gas verteilt sich schnell und hat keine toxische oder wassergefährdende Wirkung. Der Nachteil von H2 ist der erhöhte Platzbedarf aufgrund geringer Dichte, geringer Zündenergie, niedrigem und breitem Flammbereich. Bei Freisetzung von Wasserstoff kann es zu Bränden und Explosionen kommen. Die größte Herausforderung besteht in der aktuell geringen Erfahrung mit dem Einsatz des Stoffes im maritimen Bereich und den fehlenden Vorschriften/Regularien.

Wasserstofflagerung an Bord von Schiffen

Komprimierter und flüssiger Wasserstoff wird als Brennstoff genutzt sowie als Fracht transportiert. Hierfür wird H2 in geeigneten Sicherheitsbehältern gelagert. Es gibt Sicherheitsbehälter für komprimierten und flüssigen Wasserstoff. Dabei wird zwischen fest installierten und austauschbaren (»swappable«) (Druck-) Zylindern oder auch zwischen Gasflaschen und Containern in variierenden Bündeln/Gewichtsklassen unterschieden. Für die Lagerung von Wasserstoff an Bord von Binnenschiffen werden künftig je nach Bedarf unterschiedliche Sicherheitsbehälter wie Gasflaschen, -bündel und ISO-Container zum Einsaz kommen. Da H2 im Vergleich zu Diesel eine sehr geringe Dichte hat, sind für die Speicherung großvolumige Behälter erforderlich.

In der Seeschifffahrt wird H2 als Fracht in Multiple-Element Gas Container (MEGC) gelagert, diese Container sind in den für Seetransport gültigen Regularien zugelassen.

Eine Übersicht der Sicherheitsbehälter in Verbindung mit relevanten Pilotprojekten der Binnenschifffahrt findet sich in der folgenden Tabelle:

Vorschriftenentwurf

In dem in der Studie erarbeiteten Entwurf des Regeltextes für den Einsatz von Wasserstoff zum Betrieb von Binnenschiffen werden auf Basis der vorgenannten Analysen die technischen Vorschriften dargestellt. Dies sind z.B. Anforderungen an die Systemauslegung und das H2-Behältersystem, den Brandschutz, die elektrischen Systeme und weitere Sicherheitssysteme. In Kapitel 2 der Anlage 8 („Schiffsausrüstung, Schiffsbetrieb und Systemauslegung, H2-Behältersystem“) wird geregelt, dass beispielsweise die Befestigung und Halterung der Wasserstofftanks für die anwendbaren Belastungen ausgelegt sein muss. Weiterhin wird die Anwendbarkeit bestehender Normen für komprimierten Wasserstoff vorgeschlagen. Die im Entwurf enthaltenen Sicherheitsabstände u.a. zu Fluchtwegen, Unterkünften, Passagierbereichen und Arbeitsplätzen sind in der Abstimmung.

Da eine Wasserstoffflamme farblos ist, ist diese bei Tageslicht bzw. hellem Licht (z.B. im Maschinenraum) mit dem bloßen Auge nicht erkennbar. Im Entwurf (Kapitel 3 – Brandschutz, Feuermeldesystem) werden daher geeignete Ultraviolett (UV)- und/oder Infrarotbereich (IR)-Flammenmelder gefordert.

Der sich aus der Studie ergebende Entwurf wurde dem Europäischen Ausschuss für die Ausarbeitung von Standards im Bereich der Binnenschifffahrt (CESNI) bereits von der deutschen Delegation vorgestellt, damit er baldmöglichst mit einer neuen ES-TRIN-Version veröffentlicht werden kann. Der Abstimmungsprozess ist initiiert und die Anforderungen werden weiterführend inhaltlich diskutiert und präzisiert.

Ausblick

Der Prozess der Vorschriftenentwicklung wird fortgesetzt unter Beteiligung des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB), des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM) und des Vereins für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen e.V. (VBW), von Produzenten und zuständiger nationalstaatlicher Institutionen.

Für den Einsatz von Wasserstoff als Brennstoff in der Seeschifffahrt sind erhöhte Sicherheitsanforderungen zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur Binnenschifffahrt operieren hochseegehende Schiffe in großer Distanz zu den Küsten sowie bei weitaus ungünstigeren Wetter- und Seebedingungen und werden mit größeren Schiffsbeschleunigungen betrieben. Zusätzlich ist je nach Schiffstyp und Betriebsprofil mit einer größeren Menge an zu lagerndem Brennstoff zu rechnen. Die spezifischen Anforderungen im regulatorischen Vorschlag beziehen sich auf

  • Tanks und Abstände zur Schiffsaußenhaut,
  • Auslegung, Bemessung und Prüfung der Wasserstoffspeicher,
  • Abstände zu Ventilationsöffnungen und Sicherheitsventilauslässen,
  • Abstände von Rohrleitungen zur Schiffsaußenhaut.

Eine Neubewertung dieser Anforderungen ist hinsichtlich der zu erwartenden Risiken (z.B. Kollisionen oder Leckage-Szenarien) und den damit verbundenen Konsequenzen bei hochseegehenden Schiffen erforderlich.

Der fachliche Austausch wird auf den nächsten Sitzungen des CESNI (im April und Oktober 2022) fortgeführt.

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